Das immergrüne Netzwerk: Wohnungseigentümer:innen organisieren sich selbst

Sechs Stadthäuser, eingebettet in viel Grün, bilden das moderne Wohnensemble „immergrün“ in Berlin Pankow. Das preisgekrönte Architekturbüro zanderrotharchitekten kombiniert hier bodentiefe Fenster mit lebendigen Fassaden und vertikalen Gärten. Umlaufende Balkone und Terrassen mit integrierten Pflanzkästen bilden kleine private Gärten mitten in der Stadt. Natürliches und nachhaltiges Wohnen gehen bei „immergrün“ Hand in Hand. Gemeinschaftliche Grünflächen und das verkehrsfreie Areal folgen konsequent der ökologischen Ausrichtung – ebenso wie die Ausrichtung der Häuser oder die offenen Atrien, die für einen natürlichen Lichteinfall sorgen. Praktische Abstellmöglichkeiten für Fahrräder gibt es hier genügend. Pkws finden unter dem Areal in der Tiefgarage mit Ladestationen für Elektroautos Platz. Eine optimale Dämmung und moderne Isolierverglasungen kombinieren höchsten Wohnkomfort mit zeitgemäßen Klima- und Umweltschutzansprüchen in den KfW-55-Effizienzhäusern.

Die Wohnungen mit 1 bis 4 Zimmern halten optimale Grundrisse für Singles, Paare und Familien bereit. Mit dem Kauf ihrer Wohnung werden die – was Alter, Beruf und Herkunft betrifft –heterogenen Eigentümer:innen automatisch Mitglieder einer Wohnungseigentümergemeinschaft (WEG). Doch die muss sich erst zusammenfinden, um gute gemeinsame Entscheidungen für das Wohneigentum und die Gemeinschaft zu treffen. Damit steht die Eigentümergemeinschaft von „immergrün“ vor großen Herausforderungen:

  • Alle sind sich anfangs fremd. Während der Coronapandemie sind Treffen oder Eigentümerversammlungen aber nicht oder nur unter strengen Auflagen digital gestattet.
  • Für viele sind die Rolle als Wohnungseigentümer:in und die damit verbundenen Pflichten und Rechte Neuland.
  • Es gibt keine höhere Führungs- und Durchsetzungsmacht – alle Entscheidungen müssen gemeinschaftlich auf der Basis der vorhandenen Kenntnisse getroffen werden.
  • Es bestehen keine gewachsenen Kommunikationskanäle, sodass zunächst jede und jeder versucht, Probleme auf eigene Faust anzugehen, was oft in Irritationen und Kommunikationschaos mündet.
  • Einige Eigentümer:innen sind mit der Kommunikation in sozialen Netzwerken nicht vertraut oder wollen sie nicht nutzen.
  • Die Hausverwaltung ist mit der Organisation eines solch großen Quartiers und der E-Mail-Flut mit Anfragen, Störungsmeldungen und Beschwerden am Limit und oft auch darüber hinaus.
  • Die Liste der Gewährleistungsmängel ist lang, doch der Bauträger ist an einer Beseitigung und Zusammenarbeit kaum interessiert. Das führt zu rechtlichen Auseinandersetzungen.

Die WEG „immergrün“ hat Wege gefunden, ihr Zusammenwirken auf eine Weise zu strukturieren, die erste Früchte trägt. Die wertvollen Erfahrungen bei der Selbstorganisation lassen viele Rückschlüsse auch für Projekte in Unternehmen und Organisationen zu.

# Selbstorganisation
# Slack
# FredericLaloux
# Vertrauen
# Wertschätzung
# Eigeninitiative
  • 6
    Stadthäuser
  • Ca.130
    Eigentümer:innen
  • 0
    Führungskräfte
  • Seit 2020
    Experimentierzeit

Lebendiges System statt starrer Organisation

Als im September 2020 erste Objektbegehungen und Bauabnahmen durchgeführt wurden, organisierten sich erste Eigentümer*innen zunächst über WhatsApp. Die damit einsetzende und wachsende Kommunikation ließ sich kaum in geordnete Bahnen lenken, sodass zum Messenger-Dienst Slack gewechselt wurde. Über diesen Kanal wurde zwar viel und heftigst diskutiert, wie Probleme gelöst werden könnten – allerdings folgten keine Taten. Auch nach dem Zoom-Meeting, das die Hausverwaltung einberufen hatte, änderte sich nicht viel.

Frederic Laloux schreibt in seinem Buch „Reinventing Organizations“ über lebendige Systeme und sinnstiftende Formen der Zusammenarbeit. Von Anfang stellte sich bei „immergrün“ die Frage, wie sich die WEG in ein wirkungsvolles fluides System im Laloux’schen Sinne mit verteilter Autorität und kollektiver Intelligenz entwickeln könnte. Die Bündelung der Kommunikation sollte ein erster Schritt sein.

Steffi Gröscho rief deshalb den monatlich stattfindenden Eigentümer*innen-Zoom ins Leben, der dem Austausch, der Meinungsbildung und dem Angehen von Aufgaben dient . Vor dem ersten Zoom-Treffen wurde Werbung für die Anmeldung bei Casavi (dem offiziellen Kanal der Hausverwaltung) gemacht, damit alle auf demselben Informationsstand sind und Meetingzeit gespart wird. Ebenso für den „immergrün“-Slack – die offizielle Kommunikationsplattform für die Eigentümer*innen und die Bewohner*innen des „immergrün“-Quartiers, die dort zur Miete sind. Nicht-Social-Affine erhielten Software-Hilfe für Slack und Zoom.

Bei aller Selbstführung braucht es eine Struktur und Koordinationsmechanismen. So wurden Slack-Kanäle wie #weg, #störungsmelder und #rechtliches eingerichtet. Hier kann man sich gegenseitig informieren, abstimmen, wer was gegenüber der Hausverwaltung kommuniziert, und Stimmungsbilder einholen. Der Wissensaustausch ist enorm wichtig, denn auch Eigentümer*innen, die sich mit bestimmten Dingen nicht auskennen, müssen gute Entscheidungen im Gemeinschaftsinteresse treffen können. In Kanälen wie #wir #gardening_and_plants und #sommerfest lernt man sich kennen und rückt in der guten Nachbarschaft näher zusammen.

Das führte nach und nach von einer „Opfer- und Beschwerdekultur“ hin zu einer Gestalterkultur.

Verteilte Autorität und kollektive Intelligenz

Alle, denen ein Thema wichtig ist, können bei „immergrün“ die Initiative ergreifen. Gleichzeitig werden die Entscheidungen und Ausrichtungen von kollektiver Intelligenz und natürlichen Hierarchien (Themenführer) beeinflusst, so dass am Ende immer das Wohl der Gemeinschaft gefördert wird.

Es war nicht immer einfach, bei Abstimmungen in den Zoom-Meetings nicht nur einfach Mehrheitsentscheidungen treffen zu wollen, sondern denen zu vertrauen, die sich auf einem Gebiet auskennen.

So zeigte sich schnell, dass sich beispielsweise Georg als Richter auch in alle WEG-Gesetzestexte einlesen und den Bauträger in Schach halten kann. Felix übersetzt wichtige Texte und sogar die Zoom-Meetings live ins Englische. Nina als Eventmanagerin organisierte mit Nikita das Sommerfest. Anja liegt die Ruhe im Quartier und die Pflege der Grünanlagen am Herzen. Drei Eigentümer erklärten sich bereit, den Verwaltungsbeirat zu bilden.

Steffi Gröschos Anliegen ist die transparente Kommunikation und möglichst effiziente Organisation, das Vernetzen der Leute, die Förderung von Eigeninitiative und die Einbeziehung vieler in die anstehenden Aufgaben.

Mängellisten und offene To-do-Listen werden nicht von der Hausverwaltung geführt, sondern von WEG-Mitgliedern. Intrinsische Motivation heißt das Zauberwort, vermittelt durch die Beziehungen innerhalb der WEG und die Anforderungen nach dem Eigentumserwerb.

Steffi Gröscho, perlrot.

Als Selbstständige habe ich mich anfangs oft gefragt, ob ich mein Engagement für digitale Kommunikation und Zusammenarbeit im Job auch noch privat fortführen möchte. Zumal es manchmal ein kräfteaufreibender Prozess innerhalb der WEG war, der auch mit Aufwand und Missverständnissen einherging. Letzten Endes waren die Ergebnisse, die Dankbarkeit und Rückenstärkung durch die Bewohner:innen ebenso wie das eigene Lernen und Wachsen an schwierigen Situationen immer wieder Ansporn.
Die Erfahrungen mit unserem selbstorganisierten System sind so nützlich und ermutigend, dass ich meine Kund:innen auch weiterhin inspirieren werde, mehr zu experimentieren: mit Schwarmintelligenz, mit Selbstführung und auch mit den von Laloux vorgeschlagenen Methoden, etwa dem Beratungsprozess bei der Entscheidungsfindung, einer neuen Meeting-Praxis oder dem Budgeting-Prozess.

Eva Kühnrich

Als wir im Herbst 2020 langsam als “immergrüne” Hausgemeinschaft formierten, hätte wohl keiner gedacht, dass wir es ein reichliches Jahr später schaffen würden, die bestehende Hausverwaltung außerordentlich zu kündigen und eine neue Hausverwaltung einzusetzen, die unsere Rechte ggü. dem Bauträger vertritt. Steffi gab wieder den Anstoß, dem Wechselwunsch Taten folgen zu lassen und suchte Freiwillige, die eine Liste geeigneter Hausverwaltungen aufstellen. Matthias checkte in wochenlanger Arbeit 34 Hausverwaltungen. Am Ende blieben drei Kandidaten übrig , aus denen dann die Eigentümer*innen eine neue Hausverwaltung wählten. Georg wälzte sämtliche Texte des WEG-Rechts. Der engagierte Beirat sorgte für die rechtsgültige Abwahl der alten Hausverwaltung, usw.
Inzwischen hat sich auch eine Kultur herausgebildet, wie wir miteinander kommunizieren und unser nachbarschaftliches Verhältnis gemeinsam gestalten wollen. Steffi setzte die Startimpulse und muss nur noch wenig eingreifen, denn inzwischen läuft die Selbstorganisation eigenständig.

Maria Barrio Sanz

Als Mitarbeiterin in der Solarbranche liegt mir ein umweltbewusstes Handeln sehr am Herzen. In dieser internationalen, immergrünen Hausgemeinschaft fühle ich mich wohl – ich war schon in verschiedenen Ländern zuhause und habe dergleichen vorher nicht erlebt. Es ist auch Steffis unermüdlichem Engagement zu verdanken, dass wir so zusammengewachsen sind. Sie organisiert und moderiert unsere EigentümerInnen-Zoom und die Slack-Community, sorgt für Ergebnisse, findet für jeden ein offenes Ohr im Hausflur und motiviert immer wieder geschickt die Leute, sich mit ihren Stärken in die Gemeinschaft einzubringen.

Lust auf ein neues Projekt

Weitere spannende Projekte

Die Community mit erweiterter Haltung

Die Community "haltung-erweitern.de" steht allen offen, die daran interessiert sind, sich selbst, Teams und Organisationen transformativ zu führen.
Weiterlesen

Das Insider-Projekt

Die Adolf Würth KG digitalisiert konsequent nach außen und innen. Der hohe Digitalisierungsgrad im Kundenkontakt zeigt sich auch in der internen Kommunikation.
Weiterlesen

Das doppelte Digitalisierungsprojekt

Mit einem Projekt erreicht das Luzerner Kantonsspital die höchste EMRAM-Stufe für den Digitalisierungsgrad von Kliniken. Ohne COYO wäre das undenkbar gewesen.
Weiterlesen